„…dass sie leben!“ Malerei und Assemblagen von Gero Hellmuth

 St. Matthäusstiftung, Kunstforum Berlin , 2003

Ursula Prinz, Stellvertretende Direktorin der Berliner Galerie – Landesmuseum für Moderne Kunst, Photographie und Architektur, Berlin

Mit dem Projekt „…dass sie leben!“ hat sich Gero Hellmuth, zusammen mit dem Komponisten Joseph Dorfman, eine gewaltige Arbeit vorgenommen, die nichts weniger als „die Frucht einer gemeinsamen Suche nach Bild, Kunst und Musik,von Christentum und Judentum, nach einer Perspektive für das beginnende neue Jahrtausend“ (Georg Chr. Neubert) sein soll. Bezogen auf das vergangene zwanzigste Jahrhundert und die deutsch-jüdische Geschichte im Holocaust war, unter dem Eindruck des 5o. Jahrestages des Kriegsendes 1945, 1995 bereits der Zyklus „Auschwitz / Befreiung“ von Hellmuth entstanden. In dem neuen Werk soll nun in der Zusammenarbeit mit einem jüdischen Komponisten die Brücke in eine neue humanere Zukunft geschlagen werden. Getragen von ebenso dem Christen- wie dem Judentum verbundenen ethischen Beweggründen, wird ein die Kunstsparten übergreifendes „Gesamtkunstwerk“ intendiert, in dem die einzelnen Teilstücke aber auch unabhängig voneinander bestehen können. An dieser Stelle soll nur von derbildenden Kunst die Rede sein.

Hellmuth nähert sich seinem Thema mit den Mitteln der ungegenständlichen Kunst und in einer Kunstsprache, die ihre Herkunft aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht verleugnet. Der malerische Ansatz verweist auf die neo-expressive Malerei – Namen wie Sonderborg oder Tapies wären hier zu nennen.

Hellmuth geht aber über die reine Malerei weit hinaus ins Objekthafte und Skulpturale hinein. Die Malerei öffnet sich in den Raum, das heisst sie wird vielmehr, oft brutal, aufgebrochen. Holz- und Metallapplikationen scheinen direkt aus dem Grund herauszuwachsen und sind so in der Lage, auf abstrahierte Weise den Eindruck von Verletzung und Aggression zu vermitteln. Nur gelegentlich tauchen symbolhaft Realitäts-Versatzstücke auf. Die Kreuzform begegnet und erinnert oft direkt an die Krux, den christlichen Erlöser in Menschengestalt, sowie die Zahl 19, die für Hellmuth die Verkörperung der Häftlingsnummern in den Konzentrationslagern ist und gleichzeitig auf das vergangene Jahrtausend verweist.

Im „Hügel der Trauer“ hat der Künstler bildlich gleichsam einen Grabhügel aus der Akkumulation dieser Zahl, die für die ermordeten Menschen steht, errichtet. Das Motto des Environments „…dass sie leben!“ hat er in vielen Sprachen auf den Bildern wiedergegeben, um so dessen Globalität zu unterstreichen. Die Objekt-Bilder sind vorwiegend mit schwarzer und weißer Farbe bemalt, die ebenfalls eine inhaltliche Aussage trifft: Weiß für Hoffnung und Zukunft, Schwarz, ebenso wie Rot, für Vergangenheit und Verdrängung. Diese Bedeutung vermittelt sich auf emotionaler Ebene unmittelbar.

Das Thema des Holocaust ist in jüngster Zeit in der Bildenden Kunst ebenso häufig wie umstritten behandelt worden. Eine gegenständliche Fassung verbot sich dabei zumeist von selbst. Also steht Hellmuth hier in einer Linie mit anderen Künstlern, aber unterscheidet sich von ihnen auch dadurch, dass er nicht direkt den Holocaust thematisieren will, sondern vielmehr eine zukunftsorientierte und hoffnungsvolle Existenz und Koexistenz aller und besonders auch jüdischer und nichtjüdischer Menschen. Die einem christlichen Altar eigene Form des Triptychons kehrt in seinem Werk immer wieder. Eine zentrale Stelle nimmt das „Auschwitz-Befreiungs-Triptychon“ ein, das, von links nach rechts gelesen, die Vernichtung des Menschen und seine schließliche Befreiung symbolisiert. Ein anderes Bild, das der Hoffnung, der Brücke in die Zukunft, ist vergleichsweise bescheiden und ruhig; ein zarter rostfarben metallener Bogenansatz deutet sich auf der Bildfläche an. Es ist durchaus vorstellbar, dass daraus ein neuer Zyklus im Schaffen von Gero Hellmuth erwachsen könnte.

Vorerst scheint das Vehemente zu überwiegen, der Kampf gegen die Schatten der Vergangenheit noch im vollen Gang zu sein. Aus dieser kraftvollen Auseinandersetzung bezieht das Werk seine Stringenz, die es vor jeder nur allzu leicht vorstellbaren Peinlichkeit bewahrt. Die Ernsthaftigkeit des Vorhabens findet adäquaten Ausdruck in einer Bildsprache, die sich dem Laien ebenso wie dem Fachmann vermittelt. Unter anderem mag dies auch darin begründet sein, dass sich gewisse Elemente wiederholen, wie zum Beispiel der Dreierrhythmus, die Kreuzform, die gewaltsame Unterbrechung einer brückenartigen Figur, scharfkantige Aufbrüche, spitze, geknickte Metallstangen, die in den Raum hinausragen, die Zahl 19 und das Material: Holz, Metall, Leinwand und Farbe,die sich der Bild-Objektdynamik unterordnet, beziehungsweise diese noch betont. Kontraste bestimmen die Werkeund münden nur selten ins beruhigte Weiß.

Die Arbeit folgt einem Programm und begleitet dieses eher auf abstrakte Weise, als dass es illustriert, einer guten Programmmusik vergleichbar, die Inhalte und Stimmung in Töne übersetzt, in einer Sprache, die allgemein verständlich und nicht an etwaige Länder- oder Rassengrenzen gebunden ist. So sind einige dieser Arbeiten nicht unbedingt nur an einen einzigen Inhalt gebunden. Sie könnten auch jeglicher gewaltsamen Auseinandersetzung als Mahnung dienen.

Dass ein Kunstwerk nicht nur auf ein bestimmtes historisches Ereignis zu beziehen und auf einer einzigen Ebene zu begreifen ist, sondern darüber hinaus eine allgemein menschliche und ethische Bedeutung zu vermitteln vermag, verleiht ihm dauerhafte Gültigkeit.