Psychogramme des Kämpfens

Das Hiob-Thema im Werk von Gero Hellmuth

Prof. P. Dr. Friedhelm Mennekes, S. J.

ehem. Leiter der Kunst-Station St. Peter Köln

Aufregend ist die Geschichte, faszinierend ist das Motiv: die literarische Gestalt des biblischen Hiob. Ununterbrochen haben sich Künstler und Dichter damit beschäftigt, von den frühen Katakombenzeichnungen über die Buch-, Wand- und Tafelmalerei: hinauf zu den Altarbildern und hinunter in die szenischen Illustrationen. Seit der Renaissance sind bis in unsere Zeit wichtige Namen mit diesem Bildthema verbunden, sie reichen von Taddeo Gaddi Über Giovanni Bellini, Vittore Carpaccio, Albrecht Dürer, William Blake, Oskar Kokoschka, Otto Dix, Hans Fronius, Emil Schumacher, Thomas Lehnerer und Siegfried Anzinger bis zu Gero Hellmuth. Mit ihren Werken und in breiten literarischen Parallelen zieht sich die Spur von Hiobs Schicksal durch die Geschichte nicht nur der abendländischen Kultur.

Mitten zwischen die Botschaft vom gerechten Gott schiebt sich in der Bibel das Bild vom unfaßbaren Gott, der den Menschen anscheinend leiden läßt. Das Buch schildert zunächst in mythologischer Perspektive ein göttliches Wesen, das seine Zeit mit teuflischen Wetten vertreibt; es zeigt aber zugleich den rebellierenden Menschen, der aus tiefem Glauben an einen gnädigen Gott mit diesem ringt und ihn zur Rechenschaft zwingen will. Denn eines akzeptiert dieser aufrechte Mann nicht, die Gottessage selbstsicherer Theologen, daß Leiden sich aus Strafe erkläre – eine Vorstellung, die bis in unsere Tage hinein unbewußt in Millionen vonKöpfen herumspukt.

Der Beginn dieser unwahrscheinlichen Geschichte im Prolog: Gott wettet mit Satan und setzt auf Hiob. Er werde von ihm trotz aller Schläge nicht ablassen. Nach einer Folge von erschütternden Hiobsbotschaften, die ihm den Verlust von Hab und Gut, Familie und Gesundheit ankündigen, ringt der Geschlagene mit seinen Freunden um Verstehen. Er bestreitet mit zunehmender Schärfe die Funktion theologischer Ideologie, werleide,habe Schuld und werde zurecht bestraft. Hiob prüft Gott und wird sebst geprüft. Er steigert sich in die Idee, Gott selbst sei ungerecht, ja selbst als Verbrecher anzusehen und darum anzuklagen. In seinem Wahn will Hiob Gott zur Rechenschaft für sein Handeln zwingen und muß schließlich bitter erkennen, daß Gott Gott ist; er läßt sich nicht in menschliche Vorstellungen sperren und in seinem Verhalten kalkulieren – und ist doch der, an den Hiob glaubt und von dem er letztlich nicht läßt: gerecht, liebend, gnädig und barmherzig, aber als Gott.

Gero Hellmuth (geb. 1940) arbeitet seit Jahren als Maler und Bildhauer; die Musik ist für ihn ein Horizont, unter dem viele seiner Arbeiten entstehen; doch auch die Geschichte der Bibel als Interpretament der Fragen nach Sinn im Leben des Menschen wie im Verlauf der Geschichte inspiriert ihn stets auf’s Neue. Früh hat er sich eine siebenteilige dramatische Struktur der Hiobslegende zurechtgelegt: 1. Prolog im Himmel, 2. Hiobsbotschaft, 3. Prüfung, 4. Hiobs Klage, 5. Suche, 6. Überwindung, 7. Erfahrung; in drei Zyklen hat er sie bearbeitet: zunächst Anfang der 90er Jahre als Malerei, dann 1992 als Montage und schließlich 1995-96 mischtechnisch als Metallreliefs.

Die Arbeiten zeigen ein Psychogramm des Bewußtseins des Menschen, der bis an den Rand des Erträglichen belastet wird. Im Prolog im Himmel (1995) begegnet dem Blick des Betrachters links ein aufrechter Holzbalken, rechts eine Fläche voller Eindrücke. Die Form eines geometrischen Einbruchs am oberen Rand überträgt sich nach unten dynamisierend in informelle Ausbrüche, die in Drähten sowie mit Schlag- und Ritzspuren in den Raum hinein zu explodieren scheinen. Die reflektierende Oberfläche des Metalls lädt die Arbeit mit Licht auf, das auf die Bewegung des Betrachters reagiert.

Gestisch begegnet Hiobsbotschaft (1996) in der Art einer abstrakt-figürlichen Engelsgestalt, die mit ausgebreiteten Armen, in unmißverständlichem Ausdruck als energetisches Faktum der Zerstörung vermittelt. Auch hier wird im Werk ein Raum nach innen durch Einschnitte geöffnet wie nach außen durch Stäbe gestalterisch als Sinn-Raum ausgelegt.

Wie ein Sturz wirken die beiden Arbeiten Prüfung und Hiobs Klage (beide 1996). In einer breiten Senkrechten schneidet Hellmuth die Mitte frei und legt – erst mit einem schwarzen Holzkeil, dann mit Farbe, Drähten, Blech und Eisenteilen – die schwarze Leere des Inneren frei.

Die folgenden drei Arbeiten zeigen eine Umkehrung der Bewegung, die Formen richten sich auf, differenzieren sich hier, verdichten sich da, lösen sich auf und erheben sich schließlich in einer Beuge nach rechts oben ins Licht des Durchblicks und der Überwindung. Es ist das Auftauchen in eine neue Erfahrung, die wie eine Neugeburt wirkt.

Wie Gero Hellmuth in einem Katalogtext zitiert wird, erzähle das Buch Hiob von einem unschuldigen Menschen, der unter der Last schwerer Leiden aus aller Gemeinschaftsbindung an seine Familie und die Gesellschaft herausgeworfen werde, sich zugleich aber weigere, dieses Geschehen als einen Schuldspruch gegen sich selbst anzuerkennen. Das Hiobbuch behandelt nicht das Problem des Leidens, sondern das menschliche Verhalten, wenn es über den Einzelnen hereinbricht. Es zeichnet die lebendige Existenz im Leid und erspürt dabei letztlich mitten in den Energien des Klagens die ihrer Verwandlung, sie weist Wege aus der Selbstverschlossenheit des Leidenden hinaus in die Befreiung des Vertrauens.

Gero Hellmuths Hiob rebelliert gegen eine fixierte Theologie. Seine künstlerischen Gestaltungen gipfeln mit psychologischer Einfühlung in einen Glauben, der sich zweifelnd-verzweifelt bis zur Gottesirritation aufwirft. Zugleich aber gibt sein Zyklus eine Folie für jene persönlichen Krisen ab, die den Menschen immer wieder an den Rand seiner Existenz werfen. Hellmuths Kunst hilft, Fragen zu erheben, ohne sie zu formulieren; er zeigt die Freiheit der Kunst auf, die darin besteht, Fragen als Fragen zu gestalten, ohne sie in eine direkte oder voreilige Antwort zu überführen; ihr Sinn liegt oftmals eben nicht in sprachlichen Antworten, sondern in den schweigenden Räumen und Augenblicken zwischen den Fragen selbst. Von dieser Kraft zeugen diese Hiob-Zyklen.