Hiob als Künstler.

Blicke auf das Werk Gero Hellmuths  (2012)

Einer der bildmächtigsten Texte des Alten Testaments ist das Buch Hiob; die Geschichte des Mannes, der aus einem irdischen Paradies ins Elend gestoßen wird, weil Satan Gott versuchen wollte. Die in die Katastrophe gewendete Schöpfung, der dagegen aufbegehrende Mensch, der mit Gott prozessiert, ist zum kontinuierlichen Thema der Kunst geworden, nicht nur der bildenden. Haben die Künstler in Hiob einen Bruder gesehen? „Mein Harfenspiel ist zur Klage geworden und mein Flötenspiel zum Trauerlied.“ (30, 31) So beschwört Hiob selbst sein Unglück im Medium der Kunst. Wer so nahe bei der Musik ist wie der Zeichner, Maler und Plastiker Gero Hellmuth hat ein Privileg: er kann die Hiobsmusik – Trauerlied und Klage – besonders authentisch in seine Ausdruckswelt übersetzen. Ist Hiob vielleicht mehr als nur eine Bruderfigur -, das Identitätsgeheimnis des Künstlers?

Die Engener Ausstellung zeigt ein Werk, in dessen Zentrum die Lineatur der Schärfe, die Ästhetik der verletzten Schöpfung steht. Hinter Gero Hellmuths Malerei und Plastik erscheint das Ingenium des Zeichners. Dessen Arbeit ist auch die einer virtuellen Zerschneidung. Die zeichnerische Handlung gleicht einer scharfen Operation. Die Linie markiert einen Riß. Die Intensität des Zeichners besteht im permanenten Aufweis des Fragilen. So bildet er die Schöpfung ab, die Hiobs Freund Eliphas in seiner ersten Rede die „Zucht des Allmächtigen“ nennt (Hiob 5, 17): „Denn er verletzt und verbindet“ (5, 18). Noch die Farbschleier der Elementebilder Gero Hellmuths sind geprägt von der subtilen Lineatur, die sich wie ein Gespinst von Spannungsrissen entfaltet. In der furiosen Hin- und Herdirektion der zeichnenden Hand entstehen Ballungen, konkurrierende Dynamiken, wird ein harmonisierendes Bogenspiel gebrochen, eine Fläche zerfasert, ein Farbkonzentrat perforiert. Dieser Prozeß erfährt seine plastische Wendung, wenn zerschnittene Metallflächen auf Holz appliziert werden, wenn Schweißspuren Wunden und Narben assoziieren, scharfe Grate das Aggressive und das Subtilevereinen.

Die sieben Hiobsplastiken im Sakralraum des ehemaligen Klosters rahmen einen Solitär ein: das Monument der Zerrissenheit aus dem Projekt „…dass sie leben“, mit dem sich der Künstler der finalen Katastrophe in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts stellt. Es ist der Altar der negierten Schöpfungsschönheit in einem Jahrhundert, das durch die Zahl 19 stigmatisiert wird. Noch der Anfang dieses Jahrhunderts war für manche eine Ökumene des Luxus, ein Hiobsdasein vor dessen Katastrophe. „Es begab sich aber eines Tages, da die Gottessöhne kamen und vor den Herrn traten, kam auch der Satan unter ihnen.“ (Hiob 1, 6) Die Gottessöhne im Alten Testament sind himmlische Wesen im Gefolge Gottes. Zu ihnen gehört auch Satan. Mit dem Auftritt Satans beginnt sich Hiobs Schicksal zu wenden. Mit der Mutterkatastrophe des 20. Jahrhunderts, wie Golo Mann den Ersten Weltkrieg nannte, versinkt eine Welt der luxurierenden Vertragssicherheit, die „Welt von gestern“ (Stefan Zweig), in eine Szene der Zerreißung, der Materialschlacht, der bösen Splitterung. Diese Katastrophe endet erst 1945. Endet sie? Oder ist vielmehr Geschichte unheilbar geworden?

Gero Hellmuth riskiert etwas. Er macht das schwarze Zentrum des geschichtlichen Skandals sichtbar. Gegenüber dem monumentalen Solitär in der Rotunde hängt, in einer ver-rückten Entfernung, die Blicklinie unterbrochen durch eine Stele, ein Bild, das einer besudelten Tafel gleicht. Am unteren Rand sind noch die Reste der untergehenden Zahl 19 zu sehen. Aus der Besudelung löst sich bei genauem Hinsehen eine Physiognomie ab, die finstere Erscheinung Hitlers, der aus der Mutterkatastrophe alsdiabolischer Verführer hervorging.

Erinnern wir uns, daß das Buch Hiob Satan einen Gottessohn nennt. Hitlers Selbstinszenierung usurpierte das messianische Modell. Außerdem verstand er sich als Künstler. Bei Gero Hellmuth ist er als böse Konkretion das Gegenüber der Hiobsabstraktion, die sich dem Bildnis im profanen Sinn verweigert. Trotz allem eine brüderliche Gestalt? Erinnern wir uns außerdem, daß Thomas Mann 1938 einem Essay über die geschichtliche Monstrosität den Titel „Bruder Hitler“ gegeben und Hitler als Künstler im Zeichen der Verhunzung gesehen hat, als sein Gegenbild, aber dochso fatal nah – wie Satan Gott.

Der Virtuosität Gero Hellmuths gelingt eine Legierung aus Magie und Verstörung von der Art wie sie in der alttestamentarischen Bezeichnung Satans als Gottessohn liegt. Die große Klage in der Nachfolge Hiobs hat im letzten Jahrhundert denKünstler als finalen Zerstörer zur Herausforderung. Dazu nochmals Thomas Mann.In seinem Faustusroman, der um die deutsche Katastrophe aus dem Geist hybriden Künstlertums kreist, in dem der Künstler einen Pakt mit dem Bösen abmacht, ist es der Teufel, der dem modernen Künstler die Ästhetik vorschreibt. „Zulässig ist allein noch“, so sagt er im Streitgespräch mit dem „deutschen Tonsetzer“ Adrian Leverkühn, „der nicht fiktive, der nicht verspielte, der unverstellteund unverklärte Ausdruck des Leides in seinem realen Augenblick.“

Den Ausdruck des Leides, unverstellt und unverklärt, vermitteln in diesen Räumen die in die Schwärze einmündenden Werke, aus denen Farbigkeit wie das Signal einer Irrung aufscheint und das Weiß wie das immer wieder gebrochene Versprechen einer Hoffnung.

Der Autor: Klaus Schuhmacher, geb. 1948 in Singen/Htwl, von 1967 bis 1974 Studium der Germanistik, Geschichte, Kunstgeschichte, Politikwissenschaft und Philosophie in Freiburg i. Br., Dr. phil, lehrt als Professor für Neueste deutsche Literatur an der Technischen Universität Dresden.