Berlin, Deutsche Parlamentarische Gesellschaft des Bundestages

Ausstellungsprojekt „…dass man mit ihnen redet“

Im Mai 2015 findet anläßlich des Kriegsendes 1945 in den Räumen der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft (Reichstagspräsidentenpalais) eine Ausstellung mit Malerei und Assemblagen von Gero Hellmuth statt. Das Projekt mit dem Titel „dass man mit ihnen redet“ will keine retrospektive Betroffenheitskultur befördern. Vielmehr soll mit Mitteln der Kunst eine mögliche Perspektive des Wirkens für ein friedliches Europa aufgezeigt werden.  

Zu dem Anlass wird zudem das Kammerspiel „Maria sieht uns“ in Form eines deutsch-polnischen Dialogs der Autorin Merle Hilbk präsentiert.

Die Eröffnungsansprache hält Prof. Dr. Heinz Riesenhuber MdB, Präsident der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft und Bundesforschungsminister a.D.

Die Laudatio hält Christhard-Georg Neubert Pfarrer, Direktor der Stiftung St. Matthäus, Kunstbeauftragter der Evangelischen Kirche Berlin Brandenburg; Mitbegründer und Vorstandsmitglied von Artheon, Gesellschaft für Gegenwartskunst und Kirche, seit 2012 deren Präsident; Präsidiumsmitglied in der Guardini-Stiftung Berlin

Christhard-Georg Neubert
„…dass man mit ihnen redet.“
7. Mai 2015, Einführung zur Eröffnung des interkulturellen
Kunstprojektes zum 70. Jahrestag des Kriegsendes 1945.
Eine Veranstaltung der Deutschen Parlamentarischen
Gesellschaft im Berliner Reichstagspräsidentenpalais.


„Nicht der Mangel an Verständnis und Verstehen macht
uns Menschen zu schaffen, sondern das zu rasche Verstehen.“
Dieses Wort des Berliner Schriftstellers Jürgen Rennert
könnte einen Charakterzug unserer Zeit beschreiben,
der für viele gilt. Sich dieser Einsicht zu stellen, ausgerechnet
am Vorabend des 8. Mai 2015, des 70. Jahrestages
von Kriegsende und Befreiung von nationalsozialistischer
Gewaltherrschaft, fällt nicht leicht. Einer, für den
diese Beschreibung aber gewiss nicht gilt, ist der 1940 in
Neustrelitz geborene Maler und Bildhauer Gero Hellmuth.
Als wehrte er sich mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln
gegen das zu schnelle Verstehen, sucht er in immer
neuen Anläufen das schier Unverständliche an sich heranzulassen,
sich dem zu stellen, was die Bundeskanzlerin in
ihrer Dachauer Rede den Zivilisationsbruch genannt hat.
Mit dem Sich-Nicht-Abfinden, keinen Schlussstrich zulassen,
das Rätsel nicht vorschnell lösen wollen, steht Gero
Hellmuth Gott sei Dank keineswegs allein. ln der Dokumentation
“Auschwitz-Bilder aus der Hölle“ erklärt Sara J.
Bloomfield, Direktorin des US-Holocaust-Memorial, Washington:
„Bis jetzt hat niemand die Frage überzeugend
beantworten können, wie es zum Holocaust kommen
konnte.“ Und sie fügt die Frage an: “Warum wurden so
viele Menschen in einem zivilisierten Land zu Mördern?
Die Mörder sahen aus wie Durchschnittsbürger.“
Manchmal, wir kennen das alle, ist es wichtiger eine
Frage auszuhalten, als die Rettung in einer womöglich

vorschnellen Antwort zu suchen. Das fast in Sichtweite
dieses Hauses gelegene Stelenfeld des Berliner Holocaust-
Mahnmals ist der vor zehn Jahren Stein gewordene
Versuch, die Frage nach dem Zivilisationsbruch der
Shoa, die ewige Wunde, in unserem kulturellen Gedächtnis
offenzuhalten. Ein schweres, aber für uns Deutsche
ein unausweichliches Thema.
Mit den schweren Themen kennt sich der Maler, Zeichner
und Bildhauer Gero Hellmuth, der seit 1971 in Singen
am Bodensee lebt und arbeitet, aus. Seit vor Jahren sein
inzwischen weithin bekannter Hiob-Zyklus entstand, jene
sperrigen Metallreliefs, Skulpturen aus Stahl und Holz,
hat sich sein Werk in bemerkenswerter Weise verdichtet.
Dem Bildhauer, der in immer wiederkehrender Variation
das Aufbegehren des Menschen gegen erlittenes, unverschuldetes
Leiden thematisiert, ist dieser Hiob nah und
verständlich. Er bestreitet scharf die Ideologie, wer leide,
sei verstrickt in Schuld und empfange die Strafe zu Recht.
Das biblische Buch Hiob verunsichert alle pausbäckige
Rede vom gerechten Gott, denn es bietet das Bild eines
unfassbaren Gottes, der das Leiden des Rechtschaffenen
zulässt. Es ist die so oft in der Malerei wie in der Literatur
weitererzählte Geschichte des Menschen, der vor der
Fremdheit, der Unnahbarkeit Gottes fast zerbricht, aber
schließlich doch sich gerettet, geliebt und aufgehoben
weiß in Gottes Hand.
Das hier präsentierte Triptychon „Auschwitz / Befreiung“
erscheint ohne die Vorarbeit im Hiob-Zyklus kaum vorstellbar.
Auch hier formuliert Gero Hellmuth wieder jene
persönliche, ins Unermessliche gesteigerte Krise, die
ungezählte, in den Grundfesten ihres Gottesglaubens erschütterte
Menschen zurückließ, haltlos, entwurzelt, irre
geworden an allem, was Sinn verhieß. Gero Hellmuth
gelingt es in der Wahl seiner Materialien, der Formensprache
und der Grundfarbe ,Weiß‘, einen neuen Ton anzuschlagen,
unserem Sehen über die Abgründe hinwegzuhelfen

ln dieser und anderen neueren Arbeiten Gero
Hellmuths findet sich das Hoffen auf Möglichkeiten einer
Verwandlung, zu einem Aufbruch ins Offene, aus dem Verstummtsein
des mit der Häftlingsziffer Gezeichneten hinaus
in ein neues Vertrauen „…dass man mit ihnen redet“.
Hier zeigt sich jene Haltung, die sich wehrt gegen die Versuchung,
steckenzubleiben in dem erstarrenden Blick zurück.
Gero Hellmuth kennt seine Bibel und die Geschichte
von Lots Weib, die zurückblickend den Schrecken über
das Verderben herrschen lässt über sich und darum zur
Salzsäule erstarrt, unfähig aufzubrechen in ein neues Leben.
ln der Haltung des Künstlers Gero Hellmuth behalten
Zuversicht und das Streben nach einer Überwindung des
Schreckens die Oberhand. Dabei ist eine Beobachtung
zu machen, die im künstlerischen Schaffen der Gegenwart
gar nicht so sehr häufig zu finden ist: Gero Hellmuth
verbindet sein bildnerisches Schaffen immer wieder mit
künstlerischen Ausdrucksformen der Musik und – wie
heute Abend – des Theaters. Dabei verbinden sich die
unterschiedlichen künstlerischen Ausdrucksformen zu einem
Ganzen ohne ineinander aufzugehen. Das war schon
so bei der wunderbaren Zusammenarbeit mit dem israelischen
Komponisten Joseph Dorfman in dem Werk „…
dass sie leben“, welches Bezug nahm auf eine berühmte
Bibelstelle im Buche des Propheten Ezechie!; aber auch
in der Zusammenarbeit mit dem spanischen Komponisten
Manuel Hidalgo und in dem Elias-/Paulus-/Matthäus-Zyklus,
der Ende der 80-iger Jahre im Kunstverein Singen gezeigt
wurde. Für dieses Verfahren hat Hellmuth gute Gründe,
die sich finden in einem Gedanken, den Rainer Maria
Rilke in einem Brief an eine Freundin äußert. Er spricht
von der Musik als der „Sprache, wo alle Sprachen enden.“
ln ihr ist offenbar etwas zusammengeführt, das wir, die
oft zerrissen und vergesslich sind, so dringend brauchen
wie die Luft zum Atmen.
In seinem unablässigen Suchen nach Wegen, die in eine
gute Zukunft des Miteinanderlebens führen könnten, insbesondere
mit unseren polnischen Nachbarn, macht Gero
Hellmuth das Besinnen auf die gemeinsamen Wurzeln
stark. Er thematisiert Verbindendes wie Trennendes in
gemeinschaftlich ausgerichteten Kulturprojekten. Dieses
zum Thema zu machen, ist mehr denn je zentrale Aufgabe
der heutigen Gesellschaften. Darum ist es gut, dass diese
Bildwerke hier an diesem traditionsreichen Ort für eine
gewisse Zeit Heimstatt gefunden haben. Mögen sie alle,
die hier ein- und ausgehen, anstiften, ihre ganze Kraft einzusetzen
für ein Europa des Friedens und des gerechten
Ausgleichs der Interessen. Möglicherweise erweist sich
auch in dieser Hinsicht Rainer Maria Rilke als guter Ratgeber,
wenn er schreibt:

„Es müßte nur unser Auge eine Spur schauender, unser
Ohr empfangender sein, der Geschmack einer Frucht
müßte uns vollständiger eingehen, wir müßten mehr Geruch
aushalten, und im Berühren und Angerührtsein geistesgegenwärtiger
und weniger vergeßlich sein.“