Alles Sein ist Wandel

Über das künstlerische Werk von Gero Hellmuth 

Franz Joseph van der Grinten (ehem. Direktor des Joseph-Beuys-Archivs und des Museums Schloss Moyland)

                                                                                                                                                                                                                     Die schwingende Linie hat Anmut und Kraft zugleich, Harmonie und Energie. Und der Bogen suggeriert allemal Räumlichkeit, wie die Bewegung dessen, der ihn entstehen läßt, sich im Raum vollzieht. Es ist eine vor Allem zeichnerische Anlage, aus der das künstl erische Werk von Gero Hellmuth erwächst. Und es ist die hochentwickelte Beherrschung dessen, was auch weniger differenziert die Grundvoraussetzung allen künstlerischen Tuns sein würde, die den bildnerischen Arbeiten dieses Künstlers ihre heraushebende Eigenart gibt. Die Linie als Zeugnis der Gesinnung, ihre Ausdrucksvielfalt eine Bezeugung des Vermögens. Wenn sie es in der Malerei und der Skulptur so ist wie in der Zeichnung, so setzt das voraus, daß sie Vieles und Verschiedenes leistet. Da ist nicht nur das Anschwellen vom Einsatz her und das Sichverflüchtigen im Abheben, da ist nicht nur Gitterung in Parallelität und wiederholter Bewegung, sondern im Miteinander ist Atmosphäre erzeugt, eine Gestimmtheit, die durchaus musikalisch empfunden werden kann auch da, wo nicht schon die Titel auf Musik verweisen, und es ist nicht verwunderlich, daß Gero Hellmuth wirklich auch als Musiker sich zu äußern vermag. Dabei sind seine Bilder nicht orchestral, sondern vom verhaltenen Reichtum einander naher Klänge, Kontraste sind nicht diejenigen scharfer Farben, sondern die von Helligkeit und Dunkel. Und nicht nur das Schwingen der Linien und Pinselzüge mag schwebend wirken, sondern auch die Neigung, die sich ballende Form in den leeren Flächenraum auszusetzen: Isolation und Konzentration. Schleierungen, Verwischungen, Valeurs, das Widerspiel heller und dunkler Lineaturen lassen die Gebilde transparent werden und geben ihrer Existenz etwas Transitorisches: Alles Sein ist Wandel. In den Objektmontagen tut sich, was in den Bildern durch das Erlebnis der Linien räumlich erscheint, wirklich in den Raum vor: Stäbe und Ringfragmente gittern und bündeln sich und durchdringen einander und mögen der anreißenden Berührung mit Klängen antworten. Das Bild geht über sich hinaus, der rhythmischen Fügung des tragenden Grundes setzt sich die freie Bewegtheit der darauf befestigten Dinge wie durchkreuzende Striche entgegen und über das geschlossene Format der Fläche greifen sie aus ins Umfeld. Ballung, der eine zentrifugale Tendenz innewohnt. Auch die Metallreliefs schließlich – Eisen auf Holz – definieren sich, mögen sie noch so körperhaft sein, übers Lineare, und hier dann ist die Vielfalt linearer Erscheinung am faszinierendsten. Ja, es ist der Zeichner, der zum Skulptor wird, mit der Linie beherrscht er Raum und Körper. Da ist das Sägen in Einzelflächen und deren leichte oder breitere Versetzung zueinander, da ist das im Streiflicht körperbetonende Vorwölben von Schnitträndern, da ist der Knick in der Fläche selbst und da sind zeichnerische Spuren, den Widerstand überwindend hüpfende, wie sie der Radierer anwendet, und auch hier füllen sie sich dunkel. Und da ist gerolltes Blech und darüber hin spannen sich frei metallene Stäbe und bringen ihr Schattenspiel mit ein vor den Zonen, in denen Öffn ungen tiefere Schatten ins Spiel bringen. Oft setzt Holz auch nach vorn hin figurale Akzente, im Hintergrund ist es stets spürbar. Es spielt quasi den statischen Widerpart zu der energetischen Ballung und Dehnung, die sich im Eisen vollzieht. Äußerste Beherrschung der Materialien und Mittel, Formfindungen und Impulse: sie ist die Legitimation für den auch dramatischen Anspruch. Nichts lärmt, nichts gerät aus den Fugen, aber Ernst und Schicksalsschwere, wie sie der Inhalt ausspricht, geben sich anrührend zu spüren. Es sind erzeugte Erschütterungen, aus den eigenen Betroffenheiten in eine autonome Sprache übersetzte. Sie sind kontrolliert. Sie sind bedacht, sie haben vor einem kritischen Blick Gestalt angenommen. Es ist ein klärender Dialog, dessen der Betrachter Zeuge wird. Selbst im Grübeln ist es ein Durchdringen, und selbst durch tiefste Dunkelheiten führt der Gang nicht in ein nebelhaft Unfaßbares, sondern was letztlich unfaßbar bleiben mag, gebiert Erkenntnis. Gero Hellmuth weiß, daß Ausdruck durch Form erzeugt werden muß. Das ist es, was Kunst leisten soll und kann. Was darüber ist, wäre vom Bösen. Und ob ein Bildwerk einen Reichtum von Formen braucht oder in der Knappheit einer Formel sich erfüllen kann, das ist die spezifische Ökonomik der Kunst, in der solche Forderungen vom Bild ausgehen und der, der er es schafft, sich ihnen unterwirft. Auch das weiß Gero Hellmuth, und das gibt seinen Werken die Notwendigkeit auch für den, der sich diesen nähert.