Gero Hellmuth „…dass man mit ihnen redet“
Ausstellungseröffnung am 7. Mai 2015 in den Räumen der Deutschen Parlamentarischen
Gesellschaft (Reichstagspräsidentenpalais, Berlin), im Rahmen des interkulturellen
Kunstprojektes zum 70. Jahrestag des Kriegsendes 1945
„Nicht der Mangel an Verständnis und Verstehen macht uns Menschen zu schaffen sondern das zu rasche Verstehen.“ Dieses Wort des Berliner Schriftstellers Jürgen Rennert könnte einen Charakterzug unserer Zeit beschreiben, der für viele gilt. Sich dieser Einsicht zu stellen, ausgerechnet am Vorabend des 8. Mai, des 70. Jahrestages von Kriegsende und Befreiung von nationalsozialistischer Gewaltherrschaft, fällt nicht leicht. Einer, für den diese Beschreibung aber gewiss nicht gilt, ist der 1940 in Neustrelitz geborene Maler und Bildhauer Gero Hellmuth. Als wehrte er sich mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln gegen das zu schnelle Verstehen, sucht er in immer neuen Anläufen das schier Unverständliche an sich heranzulassen, sich dem zu stellen, was die Bundeskanzlerin in Ihrer Dachauer Rede den Zivilisationsbruch genannt hat. Mit dem Sich-Nicht-Abfinden, keinen Schlussstrich zulassen, das Rätsel nicht vorschnell lösen wollen, steht Gero Hellmuth Gott sei Dank keineswegs allein. In der Dokumentation ,Auschwitz — Bilder aus der Hölle‘ erklärt SaraJ. Blomfield, Direktorin des US-Holocaust-Memorial-Washington „Bis jetzt hat niemand die Frage überzeugend beantworten können, wie es zum Holocaust kommen konnte.“ Und sie fügt die Frage an: „Warum wurden so viele Menschen in einem zivilisierten Land zu Mördern? Die Mörder sahen aus, wie Durchschnittsbürger.“
Manchmal, wir kennen das alle, ist es wichtiger eine Frage auszuhalten, als die Rettung in einer womöglich vorschnellen Antwort zu suchen. Das fast in Sichtweite dieses Hauses gelegene Stelenfeld des Berliner Holocaust-Mahnmals ist der vor zehn Jahren Stein gewordene Versuch, der Frage nach dem Zivilisationsbruch der Shoa, die ewige Wunde, in unserm kulturellen Gedächtnis offenzuhalten. Ein schweres, aber für uns Deutsche ein unausweichliches Thema.
Mit den schweren Themen kennt sich der Maler, Zeichner und Bildhauer Gero Hellmuth — der seit 1971 in Singen am Bodensee lebt und arbeitet aus. Seit vor Jahren sein inzwischen weithin bekannter Hiob-Zyklus entstand, jene sperrigen Metallreliefs, Skulpturen aus Stahl und Holz, hat sich sein Werk in bemerkenswerter Weise verdichtet. Dem Bildhauer, der in immer wiederkehrender Variation das Aufbegehren des Menschen gegen erlittenes, unverschuldetes Leiden thematisiert, ist dieser Hiob nah und verständlich. Er bestreitet scharf die Ideologie, wer leide, sei verstrickt in Schuld und empfange die Strafe zu Recht. Das biblische Buch Hiob verunsichert alle pausbäckige Rede vom gerechten Gott, denn es bietet das Bild eines unfassbaren Gottes, der das Leiden des Rechtschaffenen zulässt. Es ist die so oft in der Malerei wie in der Literatur weitererzählte Geschichte des Menschen, der vor der Fremdheit, Unnahbarkeit Gottes fast zerbricht, aber schließlich doch sich gerettet, geliebt und aufgehoben weiß in Gottes Hand.
Das hier präsentierte Triptychon ,Auschwitz/Befreiung“ erscheint ohne die Vorarbeit im Hiob-Zyklus kaum vorstellbar. Auch hier formuliert Gero Hellmuth wieder jene persönliche, ins Unermessliche gesteigerte Krise, die ungezählte, in den Grundfesten ihres Gottesglaubens erschütterte Menschen zurückließ, haltlos, entwurzelt, irre geworden an allem, was Sinn verhieß. Gero Hellmuth gelingt es in der Wahl seiner Materialien, der Formensprachen und der Grundfarbe ‚Weiß‘ einen neuen Ton anzuschlagen, unserm Sehen über die Abgründe hinwegzuhelfen. In dieser und anderen neueren Arbeiten Gero Heilmuths findet sich das Hoffen auf Möglichkeiten einer Verwandlung, zu einem Aufbruch ins Offene, aus dem Verstummtsein des mit der Häftlingsziffer Gezeichneten hinaus in ein neues Vertrauen „…dass man mit ihnen redet“.
Hier zeigt sich jene Haltung, die sich wehrt gegen die Versuchung, steckenzubleiben in dem erstarrenden Blick zurück. Gero Heilmuth kennt seine Bibel und die Geschichte von Lots Weib, die zurück blickend den Schrecken über das Verderben herrschen lässt über sich und darum zur Salzsäule erstarrt, unfähig aufzubrechen in ein neues Leben. In der Haltung des Künstlers Gero Hellmuth behalten Zuversicht und das Streben nach einer Überwindung des Schreckens die Oberhand. Dabei ist eine Beobachtung zu machen, die im künstlerischen Schaffen der Gegenwart gar nicht so sehr häufig zu finden ist: Gero Hellmuths verbindet sein bildnerisches Schaffen immer wieder mit künstlerischen Ausdrucksformen der Musik und -wie heute Abend – des Theaters. Dabei verbinden sich die unterschiedlichen künstlerischen Ausdrucksformen zu einem Ganzen ohne ineinander aufzugehen. Das war schon so bei der wunderbaren Zusammenarbeit mit dem israelischen Komponisten Joseph Dorfmann in dem Werk „…dass sie leben.“, das Bezug nahm auf eine berühmte Bibelstelle im Buche des Propheten Ezechiel; aber auch in der Zusammenarbeit mit dem spanischen Komponisten Manuel Hidalgo und in dem Elias-I Paulus-/ Matthäus-Zyklus, der Ende der 80-iger Jahre im Kunstverein Singen zur Uraufführung kam. Für dieses Verfahren hat Hellmuth gute Gründe, die sich finden in einem Gedanken, den R. M. Rilke in einem Brief an eine Freundin äußert. Er spricht von der Musik als der „Sprache, wo alle Sprachen enden.“ In ihr ist offenbar etwas zusammengeführt, das wir, die oft so zerrissen und vergesslich sind, so dringend brauchen, wie die Luft zum Atmen.
In seinem unablässigen Suchen nach Wegen, die in eine gute Zukunft des Miteinanderlebens führen könnten, insbesondere mit unsern polnischen Nachbarn, macht Gero Hellmuth das Besinnen auf die gemeinsamen Wurzeln stark. Er thematisiert Verbindendes wie Trennendes in gemeinschaftlich ausgerichteten Kulturprojekten.
Dieses zum Thema zu machen, ist mehr denn je zentrale Aufgabe der heutigen Gesellschaften. Darum ist es gut, dass diese Bildwerke hier an diesem traditionsreichen Ort für eine gewisse Zeit Heimstatt gefunden haben. Mögen sie alle, die hier ein und Ausgehen anstiften, ihre ganze Kraft einzusetzen für ein Europa des Friedens und des gerechten Ausgleichs der Interessen. Möglicherweise erweist sich auch in dieser Hinsicht R. M. Rilke als guter Ratgeber, wenn er schreibt:
„Es müßte nur unser Auge eine Spur schauender, unser Ohr empfangender sein, der Geschmack einer Frucht müßte uns vollständiger einnehen, wir müßten mehr Geruch aushalten, und im Berühren und Angerührtsein geistesgegenwärtiger und weniger vergeßlich sein.“
Autor: Christhard-Georg Neubert, Pfarrer, Direktor der Stiftung St. Matthäus,
Kunstbeauftragter der Evangelischen Kirche Berlin Brandenburg; Mitbegründer und
Vorstandsmitglied von Atheon, Gesellschaft für Gegenwartskunst und Kirche, seit 2012
deren Präsident, Präsidiumsmitglied in der Guardini-Stiftung Berlin