Die Kraft des Elementaren

„Gero Hellmuth – Werkschau“, Kunstverein Engen e.V. im Städtischen Museum Engen, 2012

 

Andreas Gabelmann

Dunkel schimmernde Metallflächen und daraus jäh
hervorstoßende Vergitterungen, dynamisch flutende Farbspuren vor hellen Hintergründen:
energische Auf- und Durchbrüche mit Linienfragmenten und Seilen, kühne
Materialkombinationen von Leinwand, Holz und Eisen. In diesem Spannungsfeld
zwischen Malerei, Zeichnung und Skulptur entfaltet sich das vielschichtige
Schaffen von Gero Hellmuth, dem der Kunstverein Engen in den Räumen des
Städtischen Museums Engen eine sehenswerte Werkschau widmet.
Die gezeigten Gemälde, Assemblagen und Plastiken umkreisen
mit kraftvollen, gegenstandsfreiem Ausdruckgestus biblisch-ethische Themen und
rücken in eindringlichen Bilder-Zyklen
das Dasein des Menschen in seinem handeln, Glauben und Hoffen, seinem
Gefährdet-Sein im Weltgeschehen und der Befreiung daraus in den Fokus.


Gero Hellmuth, geboren 1940 in Neustrelitz, durchlief seine künstlerische Ausbildung
in den späten 60er-Jahren als Schüler von Klaus Arnold und Peter Dreher an der
Karlsruher Kunstakademie. Begleitend dazu studierte er Kunstgeschichte und
Philosophie an den Universitäten Karlsruhe und Stuttgart. Seit1971 lebt und
arbeitet er als Kunstpädagoge und freischaffender Künstler in Singen. Geleitet
von einem tiefen, existenzialistischen Welt- und Lebensgefühl, lotet er in
seinem künstlerischen Werk Grundfragen des menschlichen Daseins im Kontext
religiöser Glaubensinhalte aus.


Die Engener Präsentation schlägt den Bogen über rund 25 Jahre Werkentwicklung.
Dabei begegnen dem Betrachter sowohl konkret inhaltlich aufgeladene als auch
stärker formalästhetisch-expressive Abstraktionen, in denen Hellmuth mit
furiosem Pinselschwung in einem eruptiven Schaffensakt auf musikalische
Inspirationen reagierte. Dynamik und
Rhythmik der Klänge erweitern sich in zeichnerische und räumliche Dimensionen
ebenso in der Serie „Kreisbilder“, worin mittels filigraner Konstruktionen aus
Holz und Eisen graphisch-skulpturale Assemblagen mit sinnlich-vitaler Wirkung
entstehen. In diesen frühen Reliefbildern erkundet Hellmuth die Grenzen
zwischen Formauflösung und Formverdichtung.


Jener gestalterische Ansatz findet seine Fortsetzung im bedeutungsschweren
Werkkomplex zum Thema „Hiob“. Die neunteilige Installation im Sakralraum der
Apsis des ehemaligen Klosters bildet zweifellos den Höhepunkt der
Ausstellung. In den markanten Reliefs, Stellagen und Stelen aus Holz, Eisen und
Schnüren, geschaffen zwischen 1995 und 1999, gelingt Hellmuth die ebenso
ergreifende wie beklemmende Interpretation der Leidensgeschichte Hiobs.
Schroffe Hell-Dunkel-Kontraste und heftig bewegte Formkürzel, rabiate
Aufsprengungen zerklüfteter Oberflächen und aggressiv in den Raum drängende
Holzkeile und Metallstäbe sorgen für eine düstere Dramatik. Beschworen wird
eine Ästhetik des Brüchigen und Verletzten, suggeriert ist die Vorstellung des
Bedrohten, Geschundenen, Zerstörten. Gesteigert wird dies durch die zentrale,
den Platz des Altars einnehmende Arbeit „…dass sie leben“, in der Hellmuth
mit einer Montage aus zerfaserten Flächenbrechungen, wüsten Formballungen,
scharfen Graten und eingestreuten Textzeilen die Befreiung von Auschwitz
unmittelbar und unverstellt visualisiert.


Im Gegeneinander von dunkler Schwere und flüchtiger Spur entfalten sich auch
neuere Arbeiten wie etwa die Malereien und Materialbilder „Kain“oder „Augen“
von 2006/07, die sich auf Gedichte von Hilde Domin beziehen. Momente der
Kommunikation, der Überwindung und des Zusammenwachsens lässt Hellmuth im
Zyklus „Dialog“ von 20011/12 anklingen. Verschnürungen und Verknotungen
scheinen dort die klaffenden Wunden zu Überlagern und Hoffnung aufkeimen zu
lassen. Wie die übrigen Exponate entfalten auch diese Arbeiten ihre
eigenständigen Wirkungen im Changieren zwischen elementarer Archaik,
minimalistischer Strenge und freier Expressivität. Innere Bedrängnis und
Schicksalsschwere, aber auch Wille zur Befreiung sprechen aus den
ausdrucksstarken Arbeiten Gero Hellmuths, die sich immer auch als gewisse
Daseinsbewältigung lesen lassen. Die spröden Werke stürzen den Betrachter in
eine tiefe Nachdenklichkeit, transportieren aber vor allem intensivste
Emotionen und werfen moralische Fragen auf.

Autor: Dr. Andreas Andreas Gabelmann (*1967 in Karlsruhe), Studium der Kunstgeschichte,
Baugeschichte und Literaturwissenschaft in Karlsruhe und Bamberg. Zahlreiche
Veröffentlichungen zur Kunst der Klassischen Moderne, Schwerpunkt
Expressionismus. Lebt und arbeitet in Radolfzell am Bodensee