Fritz Eckey
Hiob – Evokation des Lichts der Befreiung
Anmerkungen zu den Hiob-Skizzen von Gero Hellmuth
Hiob – sublimes, numinoses Buch des Alten Testaments, existentielle Zumutung für das Denken des nach Sinn und Gerechtigkeit suchenden Menschen.
Was mag einen Künstler bewegen, sich dieses Thema zum Vorwurf zu nehmen, diese Herausforderung gleichsam alttestamentarischen Formats anzunehmen?
Schon unter dem Aspekt formaler Bewältigung erscheint das Buch Hiob problematisch: Verbindung jenseitiger Sphäre – Gott, Satan, deren Versuchung Hiobs – mit der Sphäre des Irdischen – Hiobs Leid, Hiobs Rechten und Suchen. Läßt sich auf dergleich steinigem Terrain bildnerisch reüssieren?
„Äußerste Beherrschung der Materialien und Mittel, Formfindungen und Impulse: sie ist die Legitimation für den auch dramatischen Anspruch“, so Franz-Joseph van der Grinten in seinem erhellenden Essay über das Werk Gero Hellmuths. Und weiter: „Die Linie als Zeugnis der Gesinnung, ihre Ausdrucksvielfalt eine Bezeugung des Vermögens.“1
Skizzen Nr. 1-3 zum Hiob-Zyklus, 1990/91, Graphitstift auf Papier, jeweils ca. 12 x 10 cm
Indem das Buch Hiob den Kern der conditio humana berührt, überrascht es nicht, daß sich Künstler seit der Zeit frühchristlicher Katakombenzeichnungen bis hinauf in unsere Tage des Themas immer wieder angenommen haben. Dem heutigen Betrachter fällt indes irritierend das Moment passiven Duldens ins Auge, welches diesen Darstellungen häufig eignet. Auch vermag die mitunter drastische Darstellung des biblischen Geschehens heute kaum noch zu bewegen – vollzieht sich doch Hiobs Wandlung nicht in äußerer Aktion, sondern allein durch innere Reflexion, durch die Bereitschaft, ein neues Gottesbild, mithin ein fundamental neues Sein anzunehmen.
Letztlich taugt wohl weder ein allzu gegenständlicher noch ein rein abstrakter bildnerischer Ansatz dazu, Hiobs innere Entwicklung darzustellen. So bleibt etwa Günther Ueckers nahezu ungegenständlicher, im Jahr 2007 für den Andachtsraum des Deutschen Bundestages entstandener Graphik-Zyklus in 47 Blättern eine Annäherung an das Thema – wenngleich mit starker, berührender Anmutung.
Zwei diametrale Herangehensweisen an das Thema Hiob erscheinen denkbar: Zunächst ein von tiefer, unmittelbarer Erschütterung geprägter Zugang, welcher in einem solitären Werk Ausdruck findet. Emil Schumachers überwältigende Grisaille Hiob, entstanden während einer Schaffenskrise im Jahr 1973, kommt einem in den Sinn. Das Werk nimmt mit Schumachers ikonographischem Topos des Bogens zwar formal Vertrautes auf, vermag den Betrachter durch die ungeheure Anmutung des verrätselt Physiognomischen dennoch zu verstören. Es sollte bei dieser einzigen, im Gehalt singulären Arbeit Emil Schumachers zum Thema Hiob bleiben.
Da die Theodizee-Frage, das Problem der Rechtfertigung Gottes angesichts des subjektiven Leids in der Welt, stets zu neuer Reflexion herausfordert, erscheint eine weitere Herangehensweise fast sinnfälliger: die Anverwandlung des Hiob-Themas gleichsam als Cantus firmus im Schaffen eines Künstlers – Hiob als Lebensthema. Diesen Weg wählte Gero Hellmuth nicht. Er wurde ihm aufgegeben. So entstanden im Jahr 1990 die ersten Skizzen und Notate zu Hiob.
Arbeiten auf Papier führen im Ausstellungsbetrieb ein Schattendasein – dies buchstäblich, schon aus konservatorischen Gründen. Zeichnungen, Skizzen, gar Aquarelle ins rechte Licht zu rücken bedeutet für Kuratoren: sanft abgedunkelte Ausstellungssäle, Präsentation zudem nur auf Zeit. Möglichst rasch sollen die empfindlichen Exponate wieder in das dunkle, klimatisierte Milieu des Archivs zurückkehren.
Dabei sind es gerade Zeichnungen – und insbesondere die mehr oder weniger rasch hingeworfenen Skizzen – die den Betrachter in Bann nehmen ob ihrer Spontaneität, ihrer Leichtigkeit und Lebendigkeit. Dies trifft auch auf Gero Hellmuth zu, dessen „eigentliches Metier die Zeichnung ist“, wie Hans Gercke in seinem profunden Essay über den Künstler anmerkte.2
Nichts trägt mehr zur Erschließung eines Gemäldes bei als die ihm zugrundliegenden Skizzen und Entwürfe. Gleichwohl ist es ein seltener Glücksfall, wenn dem Betrachter die direkte Gegenüberstellung von Skizze und Gemälde ermöglicht wird, wie es in dieser Ausstellung geschieht.
Im Falle der Skizzen Gero Hellmuths zu seinen beiden Hiob-Zyklen in Acryl-Gemälden respective Eisen-Reliefs wird die Deutung dadurch befördert, daß der Künstler seine Reflexionen in handschriftlichen Notaten direkt auf dem jeweiligen Skizzenblatt festgehalten hat. Skizzen wie Notate sind Ausdruck der Gero Hellmuth eigenen Herangehensweise an seine Themen: Der Arbeit an der Staffelei geht eine mitunter Monate währende Phase der Reflexion voraus. Liegen Weg und Ziel klar vor Augen, mag der eigentliche Schaffensprozeß zügig vonstatten gehen – wobei das entstandene Konstrukt aus Gedanken und formalen Vorstellungen jederzeit präsent ist.
Skizzen Nr. 4-6 zum Hiob-Zyklus, 1990/91, Graphitstift auf Papier, jeweils ca. 12 x 10 cm
Die Besonderheit an Gero Hellmuths Hiob-Skizzen in Graphit: Nicht die Linie dominiert, vielmehr Variation der Tonigkeit, Modulation des Lichts in der Fläche – was schon deutlich auf den Duktus der Gemälde verweist. Zudem gilt van der Grintens Hinweis, wonach „Kontraste nicht diejenigen scharfer Farben, sondern die von Helligkeit und Dunkel“3 seien, für die Skizzen zu Hiob in sinnfälliger Weise.
Die Evokation einer lichterfüllten Szenerie auf der Fläche mittels Modulation von Farben gehört seit jeher zu den klassischen Aufgaben der Kunst. Wird dieses Ziel mit den nichtfarbigen Medien Graphit, Kohle, Bleistift erreicht, gehört dies zu den beglückendsten Leistungen der Kunst – man denke etwa an Georges Seurats überaus suggestive Zeichnungen in schwarzer Conté-Kreide.
Das luzide Licht in den Graphit-Skizzen zu Hiob kündet nicht nur von technischer Meisterschaft. Vielmehr indes von der profunden Deutung des mystischen Geschehens: In einem Meer persönlich erfahrenen Leids setzt Hiobs fundamentale Neuorientierung ein. Gero Hellmuth dazu in seiner initialen Reflexion zu dem Thema Hiob aus dem Jahr 1990:
„Verzweifelt ringt er, um Gott aufzufinden, der sich verbirgt, und doch kann er nicht von dem Glauben lassen, daß Gott gut ist. Das Eingreifen Gottes bringt ihn zum Schweigen.“
Es ist dies nicht das Schweigen der Resignation, sondern Ausdruck tiefer Reflexion, mystischer Einkehr. Am Ende vermag Hiob loszulassen, sich aus dem Korsett seiner Vorstellungswelt zu befreien.
Das mystische, verheißungsvolle Licht im finalen Bild Erfahrung des Zyklus symbolisiert dieses Ziel von Hiobs innerer Entwicklung – dies bemerkenswerterweise schon im Stadium der Graphit-Skizze.
Was Franz-Joseph van der Grinten über Gero Hellmuths Œuvre im Allgemeinen konstatierte, bewahrheitet sich im Besonderen in seinen Skizzen zu Hiob: „Selbst im Grübeln ist es ein Durchdringen, und selbst durch tiefste Dunkelheiten führt der Gang nicht in ein nebelhaft Unfaßbares, sondern was letztlich unfaßbar bleiben mag, gebiert Erkenntnis.“4
Dem würde Gero Hellmuth hinzufügen: „Und die Hoffnung auf Befreiung.“
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[1] Franz-Joseph van der Grinten, Alles Sein ist Wandel. Zum Werk von Gero Hellmuth,
in: Kat. Gero Hellmuth. Malerei und Assemblagen. …daß sie leben, Berlin 2003, S. 11.
[2] Hans Gercke: … dass sie leben, dass man mit ihnen redet. Gedanken zu den
Zeichnungen, Malereien, Objekten und Assemblagen von Gero Hellmuth, in: Kat.
Gero Hellmuth, …daß man mit ihnen redet. Singen 2015, S. 15.
[3] a.a.O., S. 11.
[4] a.a.O., S. 12.